Werner
Köhler, geboren am 12. Oktober 1954, absolvierte ein
Musikstudium in Mannheim, bevor er einige Jahre als
Berufsmusiker arbeitete. Ab dem 02. Januar 1982 war er als
Musikredakteur bei SDR3 tätig, wo er - abgesehen von
einem zweijährigen "Ausflug" zu Radio Bremen -
bis Mitte der 90er blieb. Anschließend wechselte Werner Köhler
in die Musikredaktion von SDR1. Nach der Fusion mit dem
SWF ging er nach Mainz zu SWR1 Rheinland-Pfalz, wo er von
2008 bis zu seinem Ruhestand auch als Musikchef fungierte. Rückblickend bezeichnet
er die Tätigkeit bei SDR3 als "die schönste Zeit
meines Arbeitslebens".
Herr Köhler, welche Erinnerungen verknüpfen Sie mit
Ihrer Tätigkeit bei SDR 3?
Zuerst einmal denke ich an die aufregende Anfangszeit. Das
Radio war immer mein Traumberuf und ich war einfach glücklich,
dort einen Job bekommen zu haben. Auch noch in einem
Programm, dass ich sehr oft gehört und geschätzt habe.
SDR3 hieß in diesen Tagen noch "Radio 3 – Südfunk
Stuttgart". Ich bin jeden Morgen mit einem Glücksgefühl
ins Funkhaus in der Neckarstrasse marschiert und habe in
der Musikredaktion unglaublich gutes Radiohandwerk
gelernt. Vom damaligen Geist profitiere ich heute noch.
Als ich dort hinkam und die Kollegen Leinert, Albrecht,
Holtmann, Böhnke, Jost und Mordo kennen lernte, war ich
von der offenen und total kreativen Stimmung begeistert.
Da war wirklich was los. Für mich war es eine schöne
Zeit, eigentlich die schönste Zeit meines Arbeitslebens.
Da lief die Musik, die ich liebte.
Eine witzige witzige Anekdote fällt mir ein: Die
Plattenpost lief von 17.05-18.00. Da sprachen die Leute
ihre Wünsche auf Anrufbeantworter. Der musste morgens
angeschaltet werden, und mittags hat einer von uns die Bänder
abgehört, die Titel ausgewählt und die dazugehörigen
O-Töne der Hörerinnen und Hörer auf ein Sendeband
umgeschnitten. Eines Nachmittags – es war kurz vor 16.00
- fragte einer, wer sich eigentlich heute um die
Plattenpost kümmern würde. Alle sagten: "Ich
nicht". Kein einziger Anruf war aufgezeichnet worden
– in einer Stunde war Sendung! Also sind wir in die Büros
und haben "Hörer" gespielt. Mit verstellter
Stimme in den verschiedensten Landesdialekten haben wir
die Wünsche selber aufs Band gesprochen. Es war ein
Riesenspaß, die typischen Hörersprüche nachzuahmen.
"Ich bin der Schorsch von der Alb, ich bin krank und
wünsche mir deshalb "Beds are burning" von
Midnight Oil. Ich grüße meine Freundin Ilona und das
ganze Team, Ihr macht ein Super-Programm! – Euer
Schorsch". Und so weiter. Niemand hat die Schummelei
bemerkt.
Wie war die Musikredaktion damals strukturiert, wer gehörte
Ihr an?
Sie gehörte zur großen Abteilung L-Musik. Die L-Musik
war zuständig für jede Art von Musik, die nicht E-Musik
oder Klassik zugeordnet war. Das reichte von Volksmusik,
Schlager, Jazz bis Pop-Rock und Heavy Metal. Die
Musikredakteure kamen meistens direkt aus der Musikszene
und hatten ein ausgesprochen breites und intensives
Musikwissen. Eben nicht nur ein passives Wissen, sondern
fast alle wussten, wie eine Band funktioniert und kannten
das Musikbusiness aus eigener Erfahrung. Das war
vielleicht ein Erfolgsgeheimnis von SDR3. Die Redakteure
waren keine Theoretiker, sondern fast alle gestandene
"Figuren" aus der deutschen Musikszene. Z.B. war
Matthias Holtmann Drummer der deutschen Band Triumvirat,
Friedemann Leinert tourte als Lenny McDowell mit seiner
Band, Hans Thomas war Jazzer und hatte bei Kurt Edelhagen
gespielt. Ich selbst hatte klassische Musik studiert und
kam vom Theater. Das Studium hatte ich mir in diversen
Bands finanziert.
Es gab es in den 80ern organisatorisch keine offizielle
SWR3 Musikredaktion. Es war innerhalb der L-Musik eine
Gruppe, die vor allem SDR3 Musik gemacht hat. Einige haben
auch für andere SDR Programme gearbeitet. Ich gehörte
auch dazu. Das war auch etwas, was es heute nicht mehr
gibt: Die Vielseitigkeit. Die Musikredaktion hatte
moderierende und nicht moderierende Kolleginnen und
Kollegen. Dazu gehörten Holtmann, Leinert, Böhnke, Jost.
Nicht moderiert haben Frieder Berlin, Uschi Albrecht, Hans
Thomas, Rolf-Dieter Fröschlin und ich (aber wir haben unzählige
Programmstunden bestückt und die Klangfarbe von SDR 3
mitgeprägt). Der Musikchef von SDR3 hieß damals Holger
Arnold. Später dazu kamen die Kollegen Michael Dorka,
Peter Grabinger, Georg Schmitt und Stephan Randecker.
In den späten 80ern oder frühen 90ern (das weiß ich
nicht mehr genau) wurden die Musikredakteure den einzelnen
Wellen zugeordnet, eben auch organisatorisch. Wir mussten
uns also definitiv entscheiden. Ich bin dann zu SDR1, weil
ich mir nicht vorstellen konnte,
"Berufsjugendlicher" zu werden. Außerdem
standen bei SDR1 Veränderungen an - eben auch
musikalischer Art -, so dass es in SDR1 auch spannend
wurde. Heute fühle ich mich bei SWR1 RP wohl, aber diese
Zeit bei Radio3 war etwas ganz Besonderes.
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Die
SDR3 Musikredaktion im Jahre 1983: (stehend v.
lks.) Peter Kreglinger, Ilona
Regele, Werner Köhler, Cornelia Oetinger,
Rolf Dieter Fröschlin, Gisela Böhnke, Peter
Mordo, Uschi Albrecht; (sitzend v. lks.)
Holger Arnold, Christa Schmidt, Friedemann
Leinert, Christa Marquart, Hans Thomas, Klaus
Jost, Frieder Berlin; es fehlt Matthias
Holtmann. |
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Welche
Freiheiten hatte man damals bei der Musikzusammenstellung?
Das Schöne ist, dass die Aufbruchsstimmung und die
Freude, die wir in der Redaktion hatten, im Programm hörbar
waren. Wir haben experimentiert, und das konnten wir auch,
weil wir von den "Oberen" nicht richtig ernst
genommen wurden. Man ließ uns machen. Deshalb liefen bei
uns oft Titel, die man in keinem anderen Programm zu hören
bekam. Wir waren dauernd auf der Suche nach neuen oder
besonderen Bands und Künstlern, die (noch) nicht bekannt
waren.
Das war unsere Qualität gegenüber SWF 3. Die waren etwas
erfolgreicher, was Einschaltquoten betrifft - aber uns hat
es (glaube ich) mehr Spaß gemacht.
Zu den musikalischen Experimenten im Programm von SDR3 gehörte
die Sendung „Schaufenster“ am Sonntag Vormittag, in
der Pop, Rock und Soul mit Klassik kombiniert wurde. Wie
entstand diese Idee und würde so etwas heute noch
funktionieren?
Soweit ich das sagen kann (die Sendung gab es schon, als
ich in Stuttgart anfing), war es ein Kind von Musikchef
Holger Arnold. Er war (wie ich auch) auch der Klassik sehr
zugetan. Wir gingen davon aus, dass die Zuhörer mehr Zeit
und Muße hatten, sich einer besonderen Musikmischung zu
erfreuen. Außerdem schien es uns passend, dem Sonntag
Vormittag einen "feierlichen" Anstrich zu geben.
Die Klassikstücke waren kurz und recht gut eingängig.
Ob so etwas heute noch funktionieren würde. Ehrlich
gesagt: Ich weiß es nicht. Vielleicht kommt die Zeit
wieder, in der Radioprogramme wieder vielseitige und überraschende
Musik spielen.
Wo früher noch Musikredakteure Tonträger durchhörten,
für eine kreative Musikauswahl sorgten und somit ein
Radioprogramm zu einem Medium machten, durch das man auch
bis dato nicht bekannte Songs entdecken konnte, regieren
heute bei den meisten Sendern Musikberater. Songs werden
zunächst getestet, erst dann finden sie ihren Weg ins
Programm. Die Titelrotation ist häufig auf unter 500
Songs reduziert. Die musikalische Vielfalt ist dadurch –
bis auf wenige Ausnahmen - auf ein Minimum gesunken. Hat
das herkömmliche Radio Ihrer Meinung nach in Zeiten von
iPod etc. so langfristig überhaupt noch eine Zukunft?
Diese Beschreibung trifft auf die heutigen SWR Programme
so nicht zu. Die Entscheidung des Musikredakteurs, welche
Musik läuft, ist weiterhin die Wichtigste. Allerdings
wird heute zielgerichteter und gezielter geplant. In
Zeiten harter Konkurrenz im Radiomarkt, Internet und iPod
ist das notwendig geworden. Trotzdem: Alben werden immer
noch durchgehört und neue, interessante Künstler ins
Studio eingeladen. Da empfehle ich, einmal SWR1 RP
einzuschalten!!!
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